65 Tonnen Blei aus Boden entfernt
Ehemalige Bleikristallfabrik Ambiente Kristall Zwiesel abschließend saniert
Auf dem ca. 14.000 m² großen Betriebsgelände der ehemaligen Ambiente Kristall Zwiesel GmbH war ab ca. 1823 eine Glasverarbeitung und -bearbeitung und von 1951 bis 2011 eine Bleikristallglashütte mit Schleiferei und Säurepolieranlage betrieben worden. Das Gelände befindet sich am Ostrand der Stadt Zwiesel auf einer Höhe von ca. 571-575 m NN in der Auenstufe des entlang der östlichen Grundstücksgrenze fließenden Kleinen Regen. Geologisch ist der Standort dem ostbayerischen Grundgebirgsbereich der Böhmischen Masse mit vorwiegend Graniten und Gneisen zuzuordnen.
Untersuchungen der Schadstoffbelastungen
Im Zuge von Altlastenuntersuchungen im Zeitraum von 1992 bis 2015 wurden in der künstlichen Auffüllung und im Grundwasser stark erhöhte Gehalte an Blei (bis zu 60.000 mg/kg bzw. 200.000 µg/l im Feststoff/Eluat), Arsen (bis zu 9.600 mg/kg bzw. 720 µg/l im Feststoff/Eluat), MKW (bis zu 16.000 mg/kg im Feststoff) und PAK (bis zu 417 mg/kg im Feststoff bzw. 2,97 µg/l im Grundwasser) nachgewiesen. Belastungsschwerpunkte waren ein Heizölschaden mittig im Untersuchungsgebiet, ein verfüllter Triebwerkskanal sowie der Bereich der Neutralisation.
Im Liegenden der bis zu 2,5 Meter und im Mittel zwischen 1 und 2 Meter mächtigen kontaminierten Auffüllung stehen quartäre/holozäne Sedimente mit geringer Rückhaltewirkung über kristallinem Zersatz an. Wirksame Grundwasserdeckschichten fehlen bzw. sind weitgehend durch anthropogene und kleinräumig strukturierte Auffüllungen bis in die wassergesättigte Bodenzone bzw. den Grundwasserschwankungsbereich ersetzt worden. Die natürliche Grundwassersituation wurde vermutlich durch einen ehemaligen von Norden auf das Gelände gelangenden und bereits teilverfüllten unterirdischen Triebwerkskanal gestört.
Das Landratsamt Regen ist für die bodenschutzrechtlich erforderlichen Sanierungsmaßnahmen in Ersatzvornahme getreten. Die Sanierungsmaßnahme wurde in die Liste der fachlich vordringlichsten Vorhaben gemäß Art. 7 Abs. 4 Finanzausgleichsgesetz (FAG) aufgenommen.
Abb. 1: Aushub der künstlichen Auffüllung mit deutlichen Anteilen Bleimennige und weiteren Abfällen der Glasfabrik.
Sanierungsplanung und Sanierung
Der erste Sanierungsschritt, der den Rückbau von Betriebsgebäuden zur Baufeldfreimachung des kontaminierten Untergrundes beinhaltete, wurde Ende 2017 abgeschlossen.
Der zweite Sanierungsabschnitt erfolgte von 2018 bis 2020 unter der Bauüberwachung durch die Dr. G. Pedall Ingenieurbüro GmbH.
Bevor die Sanierungsarbeiten beginnen konnten, war aufgrund der längeren Brachlage des Geländes im Zuge der ökologischen Baubegleitung eine spezielle artenschutzrechtliche Prüfung (SaP) erforderlich. Nach den Ergebnissen der SaP führte die Sanierungsmaßnahme zu einem vorübergehenden Habitatsverlust der von Zaunechsen besiedelten Lebensräume. Im Zuge der Maßnahme erforderte dies entsprechende artenschutzrechtliche Ausnahmegenehmigungen, um die erforderlichen Abfang- und Abschirmungsmaßnahmen sowie die Schaffung von Ersatzhabitaten im Zuge der Umsiedlungsmaßnahmen durchzuführen.
Im Anschluss erfolgte die Dekontaminationsmaßnahme durch Bodenaustausch unter folgenden Vorgaben:
Ungesättigte Bodenzone:
Aushub sanierungsrelevanter Bereiche oberhalb von 570 m ü. NN (Mittelwasserlinie Kleiner Regen) mit Festlegung von Sanierungszielwerten im Boden-Eluat (≤ Prüfwert gem. Tab 3 bzw. Stufe-1-Wert gem. Tab. 4 LfW-Merkblatt Nr. 3.8/1) bzw. im Boden-Feststoff für MKW (≤ Hilfswert-1 gem. Tab 1 LfW-Merkblatt Nr. 3.8/1.)
Wassergesättigte Bodenzone:
Lokaler Teilaushub kleinräumiger bekannter Hot-Spots unterhalb von 570 m ü. NN soweit aufgrund des Wasserandrangs bautechnisch sinnvoll und möglich, ohne Festlegung von Sanierungszielwerten, jedoch unter engständiger Aushubbegleitung. Um den Wasserandrang zu minimieren wurde ein kleinzügiger Aushub in Baufeldern von max. 500 m² je Baufeld geplant (Sanierungsfläche rd. 12.000 m² / 500 m² = rd. 24 Baufelder).
Ergänzend zum Erkundungsstand der Sanierungsplanung waren in Abstimmung mit dem Landratsamt Regen und dem Wasserwirtschaftsamt Deggendorf im Vorfeld der Sanierung Baggerschürfe in den geplanten Aushubrastern durchgeführt worden, um ein längeres Offenhalten der Baugrube im Nahbereich zum Kleinen Regen zu vermeiden und einen zügigen Baufortschritt zu gewährleisten. Die Schürfe dienten neben der Festlegung der Aushubtiefen bereits der Entnahme von Proben zur Beweissicherung.
Auf Basis der ergänzenden Befunde aus den Baggerschürfen (vertikale Abgrenzung der Auffüllung, visuelle Auffälligkeiten, chemische Analytik) wurde ein Plan der Mindest-Aushubtiefen erstellt. Bei der Sanierung wurden die Befunde durch visuelle Beobachtungen ergänzt und somit die Endtiefen vor Ort im Rahmen der engständigen Aushubüberwachung festgelegt.
Für die Zwischenlagerung von hoch belastetem Aushubmaterial wurde eine Asphaltlagerfläche neu errichtet. Dieser Abschnitt war als letzter Aushubbereich vorgesehen.
Die Bauwasserhaltung erfolgte an Schachtbrunnen im An- und Abstrom der Fläche, die auch der sanierungsbegleitenden Grundwasserbeobachtung dienten, bzw. teils in der offenen Baugrube. Im südlichen Teil des Sanierungsareals wurden zusätzlich temporäre Schächte gesetzt und mitgeführt. Das Wasser wurde über die Wasserreinigungsanlage mit Adsorberfilter und Aktivkohlefilter geführt und in den Kleinen Regen eingeleitet.
In den Jahren 2018 bis 2019 wurde der östliche Teil der Fläche mit der Uferböschung zum Kleinen Regen saniert. Hierbei wurden die tiefreichenden Belastungsbereiche, wie aus der Vorerkundung bekannt, beseitigt.
Im Jahr 2020 erfolgte zunächst die Sanierung des westlichen Teils, in dem wie erwartet geringere Schadstoffgehalte vorgefunden wurden.
Anschließend wurde der am höchsten belastete und mittig in der Fläche liegende Bereich saniert. Der dortige Ölschaden war organoleptisch auffällig und wurde unter stetiger Grundwasserabsenkung tief bis in das anstehende Gestein (Granit und Gneis) ausgehoben. Zur weiteren Grundwasserbeobachtung im Bereich des Ölschadens wurde ein weiterer Schachtbrunnen gesetzt.
Zusätzlich zu den im Vorfeld der Sanierung durchgeführten Baggerschürfen wurden zur Beweissicherung Proben von der Aushubsohle und zum Teil den Aushubwänden entnommen. In der Baugrube angetroffenes Grundwasser wurde beprobt. In weiten Teilen zeigten sich die Beweissicherungsproben unauffällig, vorhandene Restbelastungen in der Aushubsohle wurden entfernt.
Abb. 2: Sanierung des Heizölschadens mit Belastungen im Flusskies, der hier vollständig ausgeräumt wurde
Fazit Bodenaushub
Der belastete Boden wurde nahezu vollständig ausgehoben. In Teilbereichen wurde der Boden über die geplanten Aushubtiefen hinaus abgetragen, nachdem sich beim Aushub höhere Auffüllmächtigkeiten oder eine tieferreichende MKW-Belastung durch organoleptische Befunde gezeigt hatten. Hieraus resultierten größere Aushubtiefen (bis zu 3,5 m uGOK), was das geplante Vorhaben der fortlaufend visuellen Überprüfung des konstruierten Aushubplans auch während der Sanierung bestätigte. Im Zuge des Aushubs belasteter Schichten mussten zum Teil größere Fundamentbrocken oder Reste des Triebwerkskanals mit entfernt werden.
Abb. 3: Ergebnisse der Schürfe für das Sanierungsgelände mit geplanten Aushubtiefen (Mindestaushubsolltiefen in m u. GOK), Beweissicherungsschürfen und Baufeldern
Rückverfüllung und Verdichtung
Nach abgeschlossenem Aushub erfolgte im Sanierungsbereich ohne Zuweisung einer naturschutzfachlichen Nachfolgenutzung kontinuierlich eine Rückverfüllung mit unbelastetem Liefermaterial auf ursprüngliches Geländeniveau bzw. mind. 571,75 m ü NN. Zum Nachweis der ordnungsgemäßen Verdichtung (EV) des rückverfüllten Materials wurden lagenweise Lastplattendruckversuche durchgeführt. Bei allen Versuchen zeigte sich, dass die geforderten EV > 45 MN/m² und EV2/EV1 < 2,5 (an der Oberfläche) eingehalten wurden.
Abb. 4: Ambiente-Gelände im Jahr 2016 mit Blick auf das Hauptgebäude mit Verwaltung, Glasöfen, Schleiferei, Veredelung (Bild: Uwe Behringer, Landratsamt Regen)
Geländearbeiten nach der Sanierung
Nach Abschluss der Sanierungsarbeiten wurden im Zuge der Wiederherstellung die erforderlichen Zufahrten auf das Gelände und zu der südlich angrenzenden Lagerhalle als LKW-befahrbarer Weg wiedererrichtet. Im Osten der Fläche entlang des Flussufers wurde eine ca. 0,2 m mächtige Oberbodenschicht aufgebracht und mit einer Saatmischung versehen. Das Ufer selbst wurde in Abstimmung und Zusammenarbeit mit einem externen Fachbüro und der Fischereifachbehörde mit Wasserbausteinen und Weidenstecklingen wiederhergestellt. Im südlichen Bereich der Fläche befand sich vor Beginn der Sanierungstätigkeiten ein Froschlaichbecken mit Übergang zum Fluss, welches ebenfalls wiederhergestellt wurde. Die übrige Fläche wurde nach der Rückverfüllung nicht weiter abgedeckt und wird der natürlichen Sukzession überlassen.
Abb. 5: Sanierte Fläche. Blick von Norden nach Süden. Links im Bild der begrünte Oberboden. Mittig im Bild ist der Schachtbrunnen S 1 zur weiteren Grundwasserbeobachtung zu erkennen.
Grundwassermonitoring
Die sanierungsbegleitende Wasseruntersuchung an den drei Sammelschächten erfolgte in zehn Beprobungskampagnen. Es waren keine schwerwiegenden Belastungen oder eine Zunahme der Schadstoffgehalte während der Sanierung zu erkennen. Fluorid und Sulfat waren zunächst erhöht und sind während der Sanierung zurückgegangen. Im Rahmen eines nachsorgenden Grundwassermonitorings wird die Entwicklung der Schadstoffgehalte über einen Zeitraum von 5 Jahren beobachtet.
Fazit nach der Sanierung
Im Zuge der Bodensanierung wurden ca. 26.400 t Material ausgehoben und dadurch rechnerisch etwa 64,6 t Blei, 1,3 t Arsen, 3,1 t MKW und 0,2 t PAK entfernt. Einstufungsrelevant hinsichtlich der Entsorgung waren insbesondere die Leitparameter Blei und Arsen sowie die innerhalb der inhomogenen Auffüllung aus Boden und Bauschutt vereinzelt vorliegenden Asbestzement-Bruchstücke. Die Zusammensetzung der Abfallarten ist in der Tabelle dargestellt.
Tabelle: Mengenbilanz der Sanierung
Material |
Tonnage [t] |
Z 1.2 / RW 1 inkl. Bauschutt |
3.000 |
Z 2 |
650 |
DK 0 |
12.270 |
DK I |
3.100 |
DK II |
6.400 |
auf Baustelle verbliebendes RC-Material |
430 |
Bitumengemische |
550 |
Summe |
26.400 |
Etwa 5.100 t Material wurden einer Behandlungsanlage zugeführt, weitere 7.550 t zur Deponie Außernzell (AWG Donau-Wald) und 9.860 t auf eine örtliche DK-0-Deponie. Drei weitere Deponien im Osten Deutschlands nahmen insgesamt 1.460 t Material an. 2.000 t Material wurde zur RC-Anlage der Baufirma verbracht. 430 t RC-Material verblieben auf der Baustelle. Die sanierungsbegleitend durchgeführten Staubemissionsmessungen hielten im Jahresmittel alle Grenzwerte der TA Luft für Staubniederschläge und Schadstoffe ein.
Mit der durchgeführten Sanierungsmaßnahme wurde eine erhebliche Schadstoffentfrachtung erzielt und somit das Gefahrenpotenzial für den Wirkungspfad Boden-Gewässer beseitigt. Zur abschließenden Kontrolle des Sanierungserfolgs erfolgt nun gemäß Sanierungsplan ein 5-jähriges nachsorgendes Grundwassermonitoring.
Autoren: Ines Höchemer, Stefan Neumann, Dr. G. Pedall Ing.-Büro GmbH
Bildrechte: Dr. G. Pedall Ing.-Büro GmbH
Finanzierung der Sanierungsmaßnahme
Es handelt sich um einen klassischen Betriebsstandort der Bleikristallherstellung und -weiterverarbeitung, dessen Firmengeschichte in Form einer Glasschleiferei in den 50er Jahren ihren Anfang nahm. Bis zur Konkurseröffnung im Jahr 1982 wurde die Glashütte unter dem Firmennamen „Bleikristall-Glashütte Karl Klokotschnik“ als Eigenbetrieb geführt. Nach mehreren Umfirmierungen entstand 1986 die Fa. IRA Glasveredelungs-GmbH, aus der im Jahre 2002 die jetzige Fa. Ambiente Kristall Zwiesel GmbH hervorging. Im Jahr 2009 wurde für die Fa. Ambiente Kristall Zwiesel GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet. Nachdem die Grundstücke im Jahr 2013 aus der Insolvenzmasse freigestellt wurden, ist die tatsächliche Sachherrschaft wieder auf die zahlungsunfähige Ambiente Kristall Zwiesel GmbH übergegangen.
Eine Kostenerstattung durch die Stadt Zwiesel (Eigenschaft als Zustandsstörer der Zufahrtsstraße ins Betriebsgelände) wurde im Rahmen eines öffentlich-rechtlichen Vertrags geregelt und ist abgeschlossen. Da keine weiteren finanziell leistungsfähigen Verpflichteten im Sinne des BBodSchG existieren, die zur Kostentragung herangezogen werden könnten, ist das Landratsamt Regen für die bodenschutzrechtlich erforderlichen Maßnahmen in Ersatzvornahme getreten.
Die Sanierungsmaßnahme wurde in zwei Bauabschnitten (Sanierungsabschnitt 1 / Gebäudeabbruch und Sanierungsabschnitt 2 / Bodensanierung) vom Bayerischen Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz (StMUV) in die Liste der fachlich vordringlichsten Vorhaben gemäß Art. 7 Abs. 4 Finanzausgleichsgesetz (FAG) aufgenommen.
Gesamtkosten der Sanierung: rd. 4,5 Mio. Euro brutto
Die Gesellschaft zur Altlastensanierung in Bayern mbH (GAB) wurde zum 01.02.2017 mit den Aufgaben nach Art. 7 Abs. 4 Finanzausgleichsgesetz (FAG) beliehen. Zur Durchführung der Aufgaben hat die GAB einen weiteren Geschäftsbereich eingerichtet. Für die ergänzenden Finanzzuweisungen nach Art. 7 Abs. 4 FAG an Landkreise und kreisfreie Gemeinden waren bis dahin die Regierungen zuständig. Art. 23a Abs. 4 FAG und die Durchführungsverordnung zu Art. 7 Abs. 4 FAG (FAG DV-Altlasten) wurden entsprechend geändert. Die geänderte FAG DV-Altlasten trat zum 01.02.2017 in Kraft.
Bericht aus GAB Kompakt 02/2021